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Ist unsere Gesellschaft egoistisch? Helfen wir anderen nur, weil wir damit Anerkennung bekommen? Kann man lernen selbstlos zu sein?
Sylvie Gilman und Thierry de Lestrade untersuchen in der Dokumentation “Revolution der Selbstlosen” (http://mediasteak.com/doku-revolution-der-selbstlosen/) die Frage ob es Teil der menschlichen Natur ist, uneigennützig zu handeln.
Im Film werden Wissenschaftler in ihren Untersuchungen begleitet, mit denen sie genau dieser Frage nachgehen. Diese Forschungen reichen von entwicklungspsychologischen Studien im Babyalter über neurologische Untersuchungen zur Primatenforschung.
Bis in die Sechziger Jahre ging die Wissenschaft davon aus, dass es kein richtiges selbstloses Handeln gibt. Hilfsbereitschaft wurde damit erklärt, dass man nach einer ‚selbstlosen’ Tat mit einem ruhigen Gewissen und Anerkennung belohnt wird.
Auch der Psychologe Daniel Batson ging zum Beginn seiner Untersuchungen vor dreißig Jahren davon aus, dass es keine echte Selbstlosigkeit gibt. Bei einem seiner Experimente, bei dem Menschen über einen Bildschirm eine Frau betrachten, die Stromschocks bekommt und dementsprechend Schmerzen hat, haben sich überraschend viele Menschen dazu bereit erklärt diese fremde Frau abzulösen, also Schmerz in Kauf zu nehmen um jemanden vom Schmerz zu befreien.
Batson erklärt diese selbstlose Motivation mit dem Begriff “empathic concern”.
Empathie, also die Fähigkeit Emotionen und Motive einer anderen Person zu verstehen, ist demnach eine wichtige Voraussetzung für Selbstlosigkeit.
„Leiden oder andere Leiden sehen, das ist für das Gehirn fast dasselbe.“ Der Film zeigt auf, dass uns die Ähnlichkeiten, die wir in anderen Menschen entdecken Empathie erleichtern.
Menschen spüren Emotionen nicht nur, sondern zeigen sie auch, damit andere diese verstehen und mitempfinden können. Der Ausdruck von Wut, Furcht, Überraschung, Verachtung, Freude, Ekel und Traurigkeit kann weltweit verstanden werden, die Sprache der Empathie somit universell.
Mit unterschiedlichen Experimenten wurde bei Kindern untersucht, dass sie Ungerechtigkeit oder Hilfsbedürftigkeit erkennen und verhindern wollen. Außerdem wurde häufig bei Kindern beobachtet, dass sie Traurigkeit bei Eltern erkennen und diese trösten.
Schon 18 Monate alte Kinder verstehen, dass jemand Hilfe braucht, wenn er beispielsweise einen Stift fallen lässt und helfen diesen aufzuheben. Sie machen das auch wenn es für sie Aufwand bedeutet und keinen Vorteil bietet.
Auch jüngere Babys wurden auf ihre Fähigkeit untersucht, wie sie Gut von Böse unterschieden können, also moralische Entscheidungen treffen können. Mithilfe Puppentheater, konnten Wissenschaftler zeigen, dass auch Babys gutes und schlechtes Verhalten unterscheiden und Ungerechtigkeiten erkennen können.
Untersuchungen bei Primaten zeigen, dass Schimpansen Mitgefühl über Beschwichtigung und Trost zeigen. Martin Novak, Mathematikprofessor an der Harvard Universität, sieht Kooperation neben Überlebenskampf als einen wichtigen Teil in der Evolution. Im Menschen gibt es also einen Instinkt, der uns helfen lässt, weswegen wir kooperieren möchten.
Dass man Selbstlosigkeit üben kann, ist bei verschiedenen Experimenten mit Meditation gezeigt worden. Das Gehirn von Meditierenden zeigt große Unterschiede zum normalen Zustand und ist in den Bereichen der Emotion und Achtsamkeit stark aktiv. Wenn in einer Gesellschaft solche Methoden gefördert werden, könnte dies beispielsweise Hilfsbereitschaft an Schulen steigern. Dass man eigene Charakterzüge ändern kann, ist also eine wichtige Erkenntnis in diesem Zusammenhang.
Durch Helfen wirkt man sich nicht nur Positiv auf den Geholfenen aus, sondern auch auf sich selbst und Beobachtende. Man löst eine Kettenreaktion der Hilfsbereitschaft aus. Erfolg entsteht nach Frans de Waal, Emory University, also nicht durch Wettbewerbsfähigkeit, sondern durch Kooperationen.
Wenn man also mit Hilfsbereitschaft Menschen beeinflusst, die großen Einfluss haben, kann man Viel bewegen.
So versucht Matthieu Ricard, ein buddhistischer Mönch und gelernter Molekularbiologe einigen der einflussreichsten Menschen auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos diese Erkenntnis näher zu bringen und die große positive Auswirkung von Achtsamkeit und selbstlosem Handeln in der modernen Wirtschaft zu zeigen.
Nach Tania Singer „arbeiten wir auf ein neues Wirtschaftsmodell hin, in dem der Homo Oecinomicus ersetzt wird durch das, was wir mitfühlende Wirtschaft nennen. (...) Statt uns von Macht, Leistung, Belohnung oder Bedrohung motivieren zu lassen,(...) können wir uns durch Verbundenheit und Fürsorge motivieren.“
Im Film wird eindrucksvoll gezeigt, dass Achtsamkeit und auch selbstloses Handeln tief in unseren Wesenszügen verankert sind. Er gibt einen interessanten Einblick in die Motivation des selbstlosen Handelns und der Folgen und beeindruckt mit Beispielen der Wandlungsfähigkeit von einzelnen Menschen.
Sabine Grohe | IMB14 | SS16